Zum UNESCO-Tag der Muttersprache am 21. FEBRUAR
Aus der BAYERISCHEN STAATSZEITUNG vom 20. Februar 2004

... Über die Sprache der Bildung freilich oder das, was für die Sprache der Bildung gehalten wird, über die Sprache der Bildungspolitik und der "modernen" Pädagogik herrscht indes kaum Verwunderung. Dabei ist dieser Teil unserer Sprachkultur und Kultursprache dabei, sich restlos einer Amerikanisierung zu unterwerfen.

Die Beispiele sind Legion, sie ergäben mittlerweile ein stattliches Wörterbuch.

Dabei ist die Frage nach den Fundstellen solcher Sprachprodukte müßig; man muss sie nicht suchen, sie quellen einem entgegen. Man findet die Beispiele zuhauf auf Bildungsmessen, in Bildungsmemo-randen, in der Fachliteratur, in Katalogen der Lehrerfortbildung - und auch in kultusministeriellen Produkten.

Angesagt sind jetzt - wohlgemerkt für „Bildung": Quality Management, Marketing, Best Practice, Benchmarking, Just-in-time-Know-ledge usw. Fehlt nur noch ein "Last Minute Learning", wenn dieses Schüler nicht schon längst erfunden hätten. Ansonsten gibt es nicht nur Laptop, Beamer, Presenter und PPP1 (Power Point Presen-tation), sondern Edutainment, Educ@tion, Learntec, didaktische Hyperlinks, knowledge-machines, Download-Wissen usw. Darüber hinaus werden die Schulen tagtäglich bombardiert von allen mög-lichen Institutionen und „Experten", die ihren pädagogischen Helfer-Komplex entdecken und der Schule „Highlights" anbieten wie „Cinema goes School", „IT works", „Girls go Tec".

Und: Wohin man guckt, ist Evaluation angesagt, in verfeinerter Form sogar mittels „ritualisiertem Brainstorming" oder „Mindmapping". Weil Schule ja keine Schule im Elfenbeinturm sein dürfe, wird außerdem PPP2 („public private partnership") propagiert - und wenn man es noch anspruchsvoller haben will: Corporate Citizenship.

Dass das Diplom und das Staatsexamen bald hopps sind, wissen wir schon; jetzt nennt man dies Bachelor und Master. Die Bundesbildungsministerin verspricht ein Brain Up der Hochschulen und Exzellenz- Clusters. Eine Lehrergewerkschaft möchte endlich weg von einer inputbasierten hin zu einer outcomebasierten Schulpolitik. Eine andere Ministerin ist nicht mit den PISA-Ergebnissen aller ihrer Schulen zufrieden; auf die Frage, welche Schulen sie meine, lässt sie antworten, sie wolle kein „naming and blaming". Fachzeitschriften, zum Beispiel für Schulleiter, schwärmen von Leadership Challenge und Leadership Practices Inventory. Lehrgangskataloge bieten pädagogischen Führungskräften „Orientierungskurse mit Assessment- Übungen" und Fachbetreuern ein „Train the Trainer". Bildungsmessen locken mit Innovation in Education, mit Online-Community, mit Blended Learning, mit Monitoring und - last but not least - mit dem „Lehrer Online". (Ob damit wohl der Lehrer gemeint ist, wie ihn Kultusminister/innen gern an der Leine hätten?)

Computer- und Softwarefirmen machen ebenfalls auf „Bildung" und
erfinden Notebooks for Education (abgekürzt: NO4ED). Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt! Und wenn diese Global Player besonders
bildungsbeflissen sein wollen, dann gründen sie nicht etwa einen Bildungsbeirat, sondern einen Adviser Council, der sich - wohlgemerkt
geleitet vom Firmenbereich „Public" - mit Innovative Teachers oder mit Accessibility to E-Learning befassen soll. Leibhaftige Professoren aus dem Fachbereich Pädagogik treten dann als Council Member auf und meinen: "Die ganze Schule muss sich bezüglich E-Learning endlich committen". Zuvor aber lässt eine charmante Public Refe-rentin („Hallo erst mal von meiner Seite!") die Adviser nach dem Get Together brainstormen und den dann entstandenen Ideen-Pool clustern, um bald zum eigentlichen Konsens- Meeting zu kommen.

Kultusministerielle Sünden

Wer glaubt, mit einer solchen Protzsprache habe wenigstens die offizielle Schulpolitik nichts zu tun, der irrt. Quer durch die Republik übertreffen sich die kultusministeriellen Organe gegenseitig im "Bildungs-Denglisch". Nehmen wir als nächstliegende Beispiele die “EZ - Elternzeitschrift" und die "Lehrer-Info" des bayerischen Kultusministeriums. Dort wimmelt es nur so von: Best- Practice, Chat-Forum, Corporate Culture (CC), E-Learning-Sequenzen, Elterntalk, European Foundation of Quality Management (EFQM), Events, Feedback, Fit for Europe, Flip-Charts, Flow-Gefühlen beim Lesen, Girls Days, Groupware-Technologie, Internet-Portals, Inputs/ Outcomes, Know-how, Life-Long-Learning, Meetings, Netkids, Note-book, Parlament live, Powertraining Persönlichkeit, Public Private Partnership, Science Days, Technik- Camp für Mädchen, Workshops u.a.m.

Ist die Decke damit schon erreicht? Nein, noch lange nicht. Wir wollen der sprachlich nach unten offenen Richterskala nicht vorgreifen, aber „in" sind wir schon auch selbst und das sprachliche Trendscouting beherrschen wir ebenfalls; auch wir wissen um das Handling von Schule, wissen also, wie man Schule „handelt" (sprich: hääändelt): Wie wäre es mit New School? Oder Lean School? Wir gründen einfach eine Task Force und geben den Grundsatz aus: Simplify Your School! Zu den Must Haves einer solchen Schule gehören gewiss: Inhouse-Seminare (anstelle Pädagogischer Konfe-renzen), Brain Food (anstelle von gesunder Pausenernährung), Crashkurs (anstelle der Schnellbleiche vor einem Extemporale), Clubwear (anstelle von Schuluniform), Fanzine (Fan Magazin anstelle von Schülerzeitung), Lifeskills (anstelle von lebenspraktischen Schlüsselqualifikationen). Der Unterricht wird zum Workshop mit einem kurzen einleitenden Briefing, Freiarbeit wird zum Freestyle Learning; letzteres aber wird gecancelt, wenn die Kids nicht smart und cool genug sind. Schulkonzerte werden zu Top Acts, Weih-nachtsbasare zu Charity Events, zu denen Eltern, Opas, Omas, Tanten und Onkel mit CI-Flyers empfangen werden (CI = Corporate Identity); finanziert wird das Ganze mittels Sponsoring und Fund-raising. Am Wochenende dann öffnet sich die Schule für LAN-Parties (Local Area Net Parties), weil die Eltern ja „Time for Kids" nicht haben. Und für das achtjährige Qualitätsgymnasium wird geworben mit „Anti-Aging by G8" (sprich: tschiii äjt).

Verpackung statt Inhalt?

Was ist von einer solchen schieren Sucht an Neologismen zu halten? Nun, sprachanalytisch ist der Gebrauch dieser Kult-, Prunk-, Impo-nier-, Fahnen- und Gesinnungsbegriffe sowie dieser Euphe-mismen banal und nichts anderes als eine Produktion von Platitüden; diese sind platt, flach, ja Fladen - Wortfladen im wortgeschichtlichen Sinn. Ihre Erfinder und Adepten sind Verbal-Pyrotechniker, die sich als pädagogische Pop-Corn-Maschinisten verstehen. Was zählt, ist offenbar nur die verbale Verpackung, nicht aber der Inhalt. Tie-fenpsychologisch handelt es sich um eine verbalerotische Hyper-ventilation zwischen Imponiergehabe und infantil staunender Gläubigkeit. Der Begriff wird zum Fetisch, zum Verbalfetisch, zur Zaubermacht, die aber sofort durch eine neue ersetzt wird, falls sie - wie zu erwarten - versagt. Wahrscheinlich aber hat die schulpolitische Verbalerotik im Volk der Dichter, Denker und großen Pädagogen auch mit Selbstaggression zu tun, nämlich mit Selbstverleugnung. Und sie hat zu tun mit Wunschdenken.

Man kann mit Hilfe sprachlicher Narkotika ruhig schlafen, man braucht die schulische Realität nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen, weil man ja die semantisch geschönte Realität hat. Damit wäre man wieder beim Phänomen der Infantilisierung, beim kindlichen Animismus: Nicht die Realität zählt, sondern die halluzinatorische Wunscherfüllung und der Glaube an die magische Wirkung von Vokabeln.

Auch philosophisch ist die aktuelle schulpolitische Windmaschine
höchst bedenklich. Die Dialektik von Sein und Schein ist damit
aufgehoben zu Gunsten des Scheins und einer Politik des „als ob". Und die Dialektik von Zweck und Mittel ist aufgehoben zu Gunsten des Primats des Mittels. Was auf der Strecke bleibt, ist die Bildung der Persönlichkeit.

Bildungspolitisch verrät sich in dieser Sprache eine bestimmte „Bildungs"- -Ideologie. Diese Sprache signalisiert nämlich den Kotau vor einem flachen Ökonomismus und vor einem technizistischen Verständnis von Bildung. Die Versuche, auch im Bereich der Schul-politik und Schulpädagogik durch die zitierten Wortneuschöpfungen sowie durch ökonomisch konstruierte Konnotationen Stimmung zu machen, trägt Früchte:
Shakespeare braucht es nicht mehr, wie immer häufiger Bildungs-politiker selbst mit Blick auf das Gymnasium verkünden. Eine blanke „economical correctness" der deutschen "Bildungs"-Sprache mit ihren Renommier- und Verbrämungs-Euphemismen presst die Pädagogik statt dessen in ein Schubladen- und Schablonendenken. Das pädagogische Denken wird uniform, und es gerät unter die Herrschaft wirtschaftlicher Dogmen.

Soziologisch betrachtet gilt eine solche Sprache als schick und weltläufig. Die „Schweigespirale" (Noelle-Neumann) tut ein übriges:
Man neigt dazu, nichts gegen diese Protzsprache zu sagen. Man nimmt schließlich an, dass man sich sonst außerhalb des pädago-gischen und schulpolitischen „Mainstream" stellt, man fürchtet sich vor dem Verdacht, keine „moderne", progressive „Bildung" haben zu wollen. Die Folge ist so oder so, dass sich die „veröffentlichte" Diktion unwidersprochen durchsetzt. Und Nietzsche hat erneut Recht: Die Zukunft und die Macht gehören jenem, der Sprachregelungen durchsetzt.

Politisch schließlich wird eine solche Sprache zum Politikersatz, das heißt zu einer Politik, die das Etikettieren bereits für politisches Handeln hält. Freilich übersieht eine solche Politik, dass man Substanzverlust nicht mit Sprechblasenproduktion kompensieren kann. Wer nämlich keine Substanz hat, glaubt auf alles Neue bzw. vermeintlich Neue sofort aufspringen zu müssen, und er schmeißt damit das Bewährte und Schützenswerte über Bord.

Was nun tun Legislative und Exekutive in Sachen Sprache konkret? Nun, Anfang Februar 2004 hat sich immerhin der Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags mit einer Eingabe der Nürnberger Seni-oren-Initiative „Nein zu Denglisch" befasst. Alle Fraktionen stehen dahinter und kritisieren die Verhunzung der deutschen Sprache.

Kultusstaatssekretär Karl Freller steht ebenfalls zu dieser Initiative, räumt aber ein, dass sein Haus auf den öffentlichen Sprachge-brauch kaum Einfluss habe. Das ist richtig. Aber auf den Sprachge-brauch des eigenen Hauses hat man Einfluss, und dieser ist - siehe oben - alles andere als vorbildlich.

Ein kleiner Lichtblick freilich ist die Bekanntmachung des Kultus-ministeriums vom 19. Dezember 2003 (Amtsblatt/Beiblatt Nr. 2/2004). Dort werden die Schulen darauf aufmerksam gemacht, dass am21. Februar 2009 zum achten Mal weltweit der „Inter-nationale Tag der Muttersprache" begangen wird.

Er geht übrigens zurück auf einen entsprechenden Beschluß der Unescoversammlung vom November 1999. Das Kultusministerium fordert die Schulen in diesem Schreiben auf, den Tag zum Anlass zu nehmen, „die Verantwortung für die aktive Pflege der deutschen Sprache in besonderer Weise wahrzunehmen."

Sprache sei schließlich eine der höchsten Kulturleistungen, sie habe große Bedeutung für die individuelle und gemeinschaftliche Iden-titätsbildung.

Das Deutsche sei aber bedroht durch Verkürzungen; es drohe ihm zudem eine Verarmung durch falsche Vorbilder und unnötige Anglizismen.

Deshalb brauche die Muttersprache eine behutsame Pflege vor allem im  Bildungsbereich.

Davon sind wir leider weiter als je zuvor entfernt. Vielmehr besteht Anlass zur Sorge, dass dort, wo die Sprache der Pädagogik verödet, schließlich auch die Wahrnehmung und das Denken in der Pädagogik veröden.

Nichts anderes als Verödung will ja beispielsweise der „Big Brother" in George Orwells Roman "1984". Dort sagt der am Wörterbuch der "Neusprache" bastelnde Sprachwissenschaftler Syme zu Winston Smith, der Hauptfigur des Romans: "Siehst du denn nicht, daß die Neusprache kein anderes Ziel hat, als die Reichweite der Gedanken zu verkürzen? ...Es ist lediglich eine Frage der Wirklichkeitskontrolle. Aber schließlich wird das auch nicht mehr nötig sein.

Die Revolution ist vollzogen, wenn die Sprache geschaffen ist." An anderer Stelle wird Winston Smith, in der Nähe des allgegenwärtigen Televisors stehend, beschrieben: „Er hatte die ruhige optimistische Miene aufgesetzt, die zur Schau zu tragen ratsam war." So weit darf es mit der Pädagogik und ihrer Sprache nicht kommen. Deshalb geben wir die Hoffnung nicht auf, und sei es um den Preis, dass wir diese Sprache der pädagogischen Verbalerotik so lange der Lächer-lichkeit preisgeben, bis sich auch deren Nutzer der Lächerlichkeit preisgegeben sehen.

Josef Kraus