Denglisch - Notwendigkeit oder Dummdeutsch?

... Der daraus entstehende Rechtsstreit endet so, wie es viele von Ihnen schon festgestellt haben (sollten): Es heißt wieder Stadtgespräch und Ferngespräch, wenngleich auch leider die völlig überflüssigen englischen Wörter weiterhin zu lesen sind.

Doch dieser sprachliche Blödsinn ("German Call" heißt schließlich "deutscher Anruf " und dürfte, selbst wenn es so etwas gäbe, nur auf Deutsch in einer Rechnung stehen) ist nur die Spitze eines aus Anglizismen und Amerikanismen bestehenden "sprachlichen Eisberges" und nimmt von Tag zu Tag groteskere Formen an. Da befördert die Post Lucky Päcks (was für ein Sprachmatsch! Ob die Pakete nun endlich schneller ankommen?), die Parfümeriekette Douglas forderte auf: Come in and find out! (sie hat den Spruch vor kurzem geändert, anscheinend gibt es hier doch nicht so  viele US- Touristen), jedes noch so kleine Highlight wird mit Standing Ovations bedacht (auch bei Höhepunkten klatscht es sich im Sitzen besser), usw., usw. Und wenn einem nach soviel Schwachsinn schlecht wird, nützt auch kein Wellness Studio mehr. "Need a change?" fragt Peek & Cloppenburg, und ich antworte: "Ja, und zwar im Umgang mit der deutschen Sprache!"

Aus diesem Grunde bin auch ich dem VDS beigetreten, dem "Verein Deutsche Sprache." Er hat sich zum Ziel gesetzt, in dem ewigen Fluß der Sprache als dessen sprachlicher Anwalt aufzutreten. Er widersetzt sich einer verbreiteten Tendenz in unseren Medien wie in unserem Alltagsleben, eine Sprachneuheit schon deshalb als überlegen anzusehen, weil sie aus dem Englischen kommt. Er tritt für mehr Selbstachtung aller Menschen ein, die Deutsch als Muttersprache haben und entsetzt sind über die Selbstauflösung dieser schönen Sprache.

Doch da höre ich schon die Einwände, ich bekomme sie jeden Tag zu hören:

- In der Zeit der Globalisierung ist es notwendig, ja unverzichtbar, unsere      Sprache  mit Anglizismen (es sind übrigens überwiegend Amerikanismen) zu durchsetzen.

- Durch die Einführung der Computer, besonders aber durch das Internet, ist eine "Verenglischung" unserer Sprache notwendig.

- Die Sprachen haben sich schon immer gewandelt und sich den Veränderungen in der Gesellschaft angepaßt.

- Sich für den Erhalt der deutschen Sprache einzusetzen, sei ein "rechtslastiges" Unterfangen.

Ich muss gestehen, daß ich bei diesen Argumenten Magenbeschwerden bekomme, denn sie erweisen sich als "blanker Unsinn":

Zu Argument 1:

Es glaubt doch wohl keiner im Ernst, daß die oben angeführten wenigen Beispiele - ich könnte noch unzählige weitere hinzufügen - unsere Sprache den Menschen verständlicher machen, die kein Deutsch sprechen? Mit Sätzen wie  „Wir müssen unseren time frame im Auge behalten, damit wir unser target erreichen und nicht die alert line overshooten" (aus einer Besprechung eines international tätigen deutschen Unternehmens) katapultieren wir uns ins internationale Abseits, auch wenn hierzulande einige denken, sie bewiesen kosmopolitische Denk- und Lebensweise. Jetzt kann nämlich auch der Russe, der mit viel Mühe und großem finanziellen Aufwand Deutsch in der Schule und dann im Goethe-Institut gelernt hat, nichts mehr verstehen. Und der Eingeborene von den Fidschi-Inseln, der sehr wohl Englisch spricht, kann mit unserem "Pidgin-Deutsch" nichts anfangen, da er Wörter wie z.B. handy, mindmap, shoppen, hoppen und toppen nicht kennt. Wie denn auch, sind sie doch keine englischen Wörter. Heißt also Globalisierung, die Sprachen so zu verhunzen, dass keiner mehr etwas versteht? Zumindest in Deutschland gibt es immer mehr Menschen, die nichts mehr begreifen, und es wäre wirklich reizvoll herauszufinden, bei wem das Unverständnis größer ist - bei denen mit oder bei denen ohne Englischkenntnisse. Wer also Denglisch mit Deutschen spricht, spielt Kolumbus, obwohl er nur ein Binnenschiffer ist! Der Herausforde-rung der Globalisierung können wir also nur begegnen, indem wir Fremdsprachen lernen, wobei Englisch natürlich an erster Stelle steht. Doch wußte man das nicht schon, als es das Wort "Globali-sierung" noch gar nicht gab ...?

Zu Argument 2:

Zwar bin auch ich an das Internetz angeschlossen, doch bin ich mir absolut sicher, daß ich eines nicht ändern werde: Meinem ameri-kanischen Freund werde ich auch weiterhin auf Englisch schreiben, meinem deutschen Freund in Schweden weiterhin auf Deutsch. Warum also sollte sich unsere Sprache durch die Computer ändern? Nun wird der Leser vielleicht einwenden, daß solches schon stimmen mag, gemeint sei aber nicht unsere Verständigungssprache, sondern die Computer-Fachsprache. In diesem Zusammenhang ist nach einer Untersuchung von Dieter E. Zimmer (" Deutsch und anders ", ro-ro- Sachbuch) Interessantes festzustellen: Die Finnen haben 93% der meistens aus Übersee kommenden Computerausdrücke übersetzt, die Franzosen 86%, die Polen 82%, die Spanier 80%, die Deutschen jedoch nur 57%, sie werden überraschenderweise nur noch von den Dänen mit 52% unterboten. Warum wir die Terminologie unübersetzt hinnehmen, als wäre sie gottgewollt, läßt sich vielleicht an folgendem Beispiel erklären. Originalton eines Berichterstatters von der Cebit auf NDR 4: "Wir müssen uns auf einen neuen Terminus einstellen, die 'wireless connected information box.’ Müssen wir das wirklich? Nur weil Menschen, die zwar durch ihre berufliche Position einen großen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben, aber sowohl im Deutschen wie im Englischen über einen beschränkten Wortschatz verfügen (wie übrigens viele Computerfachleute)?

Ich jedenfalls hätte kein Problem, diesen Ausdruck zu übersetzen, wie sich auch viele andere Ausdrücke übersetzen ließen, die die Liste der Amerikanismen bis zum Überlaufen füllen. Dabei ist es ein Zeichen von Borniertheit und Arroganz, Versuche zu belächeln, Computersprache zu übersetzen, zumal es viele gelungene Beispiele gibt. Oder benutzen wir etwa die englischen Wörter für „Schnitt-stelle," „vernetzen,", "Treiber", usw.? Wahrscheinlich kennen einige von uns die entsprechenden Übersetzungen gar nicht, und wir würden auch „homepage" und „e-mail" nicht kennen, hätten wir von Anfang an „Leitseite“- oder „Internetseite" und "E-Post" gehört. Aber so müssen wir uns eben mit dem an Albernheit nicht mehr zu übertreffenden "downloaden" u.a. Wörtern herumschlagen. Müssen wir es wirklich ...?

Zu Argument 3:

Gegen dieses Argument ist nichts zu sagen; so war es - wenn auch nicht überall, doch in vielen Ländern - schon immer, so wird es bleiben. Doch was hat die immer stärker werdende Manipulation unserer Sprache durch die Werbung und die ihr dienenden Träger, der Massenmedien, mit einer sanften Veränderung unserer Sprache als Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen zu tun? Es ver-wundert mich doch immer wieder, daß gerade die sogenannten „68er," die schon immer hinter allem die von „denen da oben " angezettelten Manipulationen vermuteten, heute eben jenen auf den Leim gehen, wenn sie die nächste Sitzung canceln (kanceln, känceln,cänceln,känzeln?), ihre Ehefrau supporten, ihre kids wie youngsters outfitten, beim nächsten outdoor event unbedingt dabei sein müssen, weil sie sonst in heavy rotations kämen und beim banking auf das ranking achten müssen. Und da werden doch so einige - darunter selbst Kollegen - aggressiv, wenn ich dieses - nämlich deren Deutsch - als Dummdeutsch bezeichne!

Zu Argument 4:

Die Faschisten hatten und haben weder Deutschland noch die deutsche Sprache gepachtet, sie benutzten bzw. benutzen diese Sprache nur, weil sie zufälligerweise hier geboren wurden. Sprachschützer als konservativ oder gar in die „rechte Ecke" zu schieben (was häufig der Fall ist), zeugt von solch einer Gedanken- Akrobatik und einer Argumentationsarmut, daß ich nicht bereit bin, mich mit solchen Argumenten weiter zu befassen. Nur eines noch: Goethe sprach - und schrieb - Deutsch, und das zu einer Zeit, in der es „en vogue" war, französisch zu „parlieren". War er ein Faschist? Sind die Engländer, die Franzosen, die Italiener, usw., die alle viel pfleglicher mit ihrer Sprache umgehen als wir, allesamt in die „rechte Ecke" zu stellen? Ich glaube, umgekehrt könnte daraus schon eher ein Schuh werden: Der augenblickliche Zeitgeist, die Amerikanismen geradezu befehlsempfängerisch aufzusaugen, ohne auch nur den geringsten Versuch zu unternehmen, diese zu übersetzen, zeugt von einer gewissen Untertänigkeit, was wiederum ein sehr faschistoider Charakterzug ist. Wie sagte doch Winston Churchill? Die Deutschen hat man vor den Füßen oder an der Kehle! Das gleiche gilt für die systematische Ausgrenzung von Millionen von Menschen, welche die „Neudeutsche Sprache" nicht verstehen und sich wie Fremde im eigenen Lande fühlen.

Nachwort

Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, der Meinung sind, dieses statement war keine gute performance, so tut es mir leid, Ihnen als reader dieser message Ihre time gerobbed zu haben. Turnen Sie bitte over zur next page. Sollten Sie jedoch zu den Menschen gehören, die - wie der amerikanische Autor Mark Rilla - der Meinung sind, dass die deutsche Sprache so viele Schätze menschlicher Zivilisation in sich birgt, bitte ich Sie, etwas gegen den zur Zeit grassierenden Anglo-Wahn zu unternehmen, bei dem Deutsch nur noch eine fehlerhaft eingesetzte Intarsie zu werden droht. Tun Sie etwas dagegen, daß wir die Brücken zu dem Deutsch von gestern und dem Deutsch von heute nicht abbrechen. Wer das Deutsch von morgen spricht, wird Worte von Heine oder Schopenhauer (der übrigens sagte, daß die einzige Kultur, die der Deutsche hervor-gebracht hätte, seine Sprache sei), von Schiller oder Goethe, Nietzsche, Brecht oder von Enzensberger nur noch ungefähr verstehen, wenn überhaupt. Er wird jedoch nicht mehr verstehen, daß diese Worte gut und warum sie gut waren, wird sie inhaltlich noch weniger erfassen können als wir heute Walther von der Vogelweide verstehen. Darum sollte der folgende Satz von Tucholsky für uns den gleichen Stellenwert haben, wie er schon zu einer anderen Zeit hätte haben sollen: Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: NEIN!

Zuletzt ein Wort von Konfuzius, der schon um ca. 500 vor Christus erkannte, was viele auch heute noch nicht sehen wollen: Zuerst verwirren sich die Worte, dann verwirren sich die Begriffe, und schließlich verwirren sich die Sachen.

Wolfgang Hildebrandt

Deutscher Lehrerverband - Februar 2004